Was hält uns zusammen?
Beim diesjährigen Jahresempfang der NGD-Gruppe im Alten Güterbahnhof in Kiel hat ein besonderer Redner für Begeisterung bei den rund 250 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Sozialverbänden gesorgt: Bundespräsident a.D. Joachim Gauck.
Nach der Begrüßung durch Martin Seehase, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der NGD-Gruppe, und dem Grußwort von Eka von Kalben als Landtagsvizepräsidentin hat jedoch zunächst Pastor Karsten Struck das Wort ergriffen; er ist in der NGD-Gruppe für den Bereich Theologie und das diakonische Profil zuständig. Und als gebürtiger Rostocker ein langjähriger Freund und Weggefährte von Joachim Gauck.
Der Bundespräsident a.D. war zu einem Thema eingeladen, dass aktueller kaum sein könnte: der Zustand unserer Demokratie.
Von Freiheit und Verantwortung
„Ich musste 50 Jahre alt werden, um zum ersten Mal frei wählen zu können. Seitdem habe ich nicht eine Wahl verpasst – und das will und werde ich auch niemals tun.“ – ein Einstieg, der beeindruckt.
In verständlichen und klaren Worten hat Gauck einen Abriss durch Bibel und Psychologie vorgenommen und – teils sehr persönlich – über den Menschen und sein Verhältnis zum Begriff Freiheit gesprochen. Denn „wir haben nur eine Zukunftschance, wenn wir ein Leben in Bezogenheit aufeinander anerkennen“. Aber ist das immer so einfach? Die Spaltung zwischen den Menschen, die sich – gesellschaftlich – aktiv einbringen und denen, die abwarten und inaktiv sind, ist groß. Es gäbe, frei nach Erich Fromm, die menschliche Neigung, zwar a) Freiheit zu wollen, aber sie b) ganz unterschiedlich zu nutzen. Denn es gibt neben der Freiheit von etwas auch die Freiheit zu etwas …
Es gibt eine Faustregel, so Gauck, und die lautet: Die Freiheit des Erwachsenen heißt Verantwortung.
Diktaturen hinterlassen mitunter lange Schatten
Mit Blick auf die politische Stimmungslage insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern nennt er die Dinge beim Namen: „Die Wessis konnten Demokratie länger trainieren!“
Doch fernab von – gefühlter oder bestehender – sozialer Ungerechtigkeit, warum gibt es (in vielen europäischen Ländern) so eine große Gruppe, die Rechtspopulisten wählt? „Weil die Menschen sich sagen: Ich möchte lieber in einem Land leben, das mir vertraut ist.“
Gauck zitiert Studien, die besagen, dass rund einem Drittel der Menschen in 28 europäischen Ländern Sicherheit wichtiger ist als Freiheit. Dass diese Menschen Wandel als bedrohlich empfinden. Dass diese Menschen gern unter Menschen leben, die ihnen ähnlich sind. Und dass sich Menschen eine klare, eindeutige Regierung wünschen. „Wie früher“, ist das Stichwort.
„Wir dürfen den Rechten unsere Ängste nicht schenken!“
Ein klarer Appell des Altbundespräsidenten. „Wir sind Wesen, die das Recht haben, Rechte zu haben.“ Und die müssen wir nutzen. Für ein Leben mit anderen in Solidarität, für die Möglichkeit, uns positiv einzubringen.
Ein Vortrag, der begeistert hat.
Danke an alle, die da waren – für einen spannenden Abend voller anregender Gespräche!